Bürokratie in Deutschland: Brötchen backen schwer gemacht | Doku | NDR Story

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Published 2024-04-08
Wenn das Brötchen knusprig auf dem Teller liegt, wer will da an Bürokratie denken? Doch sein Weg zum Frühstücktisch ist weit.
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Wenn das Sonntagsbrötchen knusprig auf dem Teller liegt, wer will da an Bürokratie denken? Doch der Weg voller Vorschriften, Verordnungen und Kontrollpflichten ist weit, bis so ein Backwerk ordnungsgemäß auf dem Frühstückstisch landet.

Starke Nerven und Sinn für Humor

Die NDR Story folgt dem Brötchen auf seinem Weg durch den Wust der Regularien: vom Landwirt, der den Weizen anbaut, über die Bäckerei, den Fahrer, der die frischen Brötchen ausliefert, bis hin zum Hersteller von Backblech-Spülmaschinen. Da braucht es starke Nerven und einen Sinn für Humor.

Die Fahndung nach den Ursachen der bürokratischen Überforderung - und möglichen Lösungen - führt die Autorinnen auch nach Berlin und Brüssel. Sie forschen im Bundesjustizministerium, bei der EU-Kommission und sprechen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen).

Bäckerinnung: 4.251 Arbeitsstunden nur für Bürokratie

Bei ihren Recherchen lernen sie Bäcker Eberhard Vielhaber aus Sundern-Stockum im Sauerland kennen. Er stand jahrelang um 3:00 Uhr früh in der Backstube wie schon sein Vater und Großvater. Wer diese Arbeitszeit auf sich nimmt, ist von Leidenschaft getrieben. Aber noch mehr Freude hätte er, wenn nicht mehr als 100 Verordnungen und Auflagen seine Arbeitszeit fressen würden.

4.251 Arbeitsstunden gehen laut Bäckerinnung pro Jahr nur für Bürokratie drauf. Vielhaber führt den Familienbetrieb mit 28 Filialen gemeinsam mit seinen Töchtern. In ihrer Backstube fahndet die NDR Story nach Sinn und Unsinn des bürokratischen Overkills wie der jährlichen Gefahrenanalyse für schwangere und stillende Frauen an Arbeitsplätzen, die nur von Männern besetzt sind, oder EU-Richtlinien, die in der Arbeitswirklichkeit des Bäckers besonders absurd erscheinen.

Terrorfahndung einer Mittelständlerin

Auf den Spuren der Brötchenproduktion reist die NDR Story auch nach Viöl in Schleswig-Holstein, wo Birgit Putz und ihr Mann Backblechputzmaschinen für den deutschen, aber auch für den europäischen Markt produzieren. Die EU-Verpackungsverordnung macht ihnen das Leben schwer. Die Auflagen sind so umfangreich, dass sie überlegen, auf den internationalen Handel, der immerhin ein Viertel ihres Umsatzes ausmacht, ganz zu verzichten.

Besonders aber ärgert sie die Verordnung EG 881/2002. Die wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in Kraft gesetzt. Und seitdem checkt Frau Putz monatlich, ob die Namen ihrer Kundschaft oder ihrer eigenen Mitarbeitenden auf den internationalen Terrorlisten auftauchen. Eine Mittelständlerin macht Terrorfahndung: Muss das wirklich sein?

Eine journalistische Spurensuche mit Tiefe und einem humorvollen, aber notwendigen Blick auf die aktuelle Frage: Warum gelingt der Bürokratieabbau nicht? Und wie könnte es klappen?

BILD: Entwurf Illustration: Kathy Würbs | Montage: NDR/Bettina Wiedner

Homepage NDR Story: www.ndr.de/ndrstory

All Comments (21)
  • @NDRDoku
    Liebe Community, wir hatten ein kleines technisches Problem, weshalb die NDR Story ursprünglich nicht in HD-Qualität veröffentlich wurde. Jetzt sollte aber alles stimmen und wir freuen uns auf eure Kommentare!
  • @carstenk9615
    Das perfide an den geforderten Dokumentationen ist, dass ein großer Teil in den jeweiligen Behörden einfach nur abgelegt und nicht kontrolliert wird.
  • @Flitzer696M
    wenn ein Politiker wirklich glaubt, dass die Reduzierung der Aufbewahrungsfrist von 10 Jahren auf 8 Jahre ein großer Wurf des Bürokratieabbaus ist. Frage ich mich, was macht dieser Politiker den ganzen Tag.
  • @TomTom-zw9is
    Ich bin Steuerberater und ich kann sagen, daß nach meine Erfahrungen alle diese "Erleichterungen" wie Verkürzung von Aufbewahrungsvorschriften, Erhöhung der Grenzen zur Buchführungsplicht, zur Ist-Versteuerung vollkommen egal sind. Für unsere zumeist kleinen Mandanten macht das gar keinen Unterschied, die sortieren irgendwann Belege aus und gut ist. Ob die da einmalig zwei Jahre mehr entsorgen oder nicht, ist völlig egal. Ob ich für einen kleineren Handwerker etwas früher oder später bilanzieren muß, ist für mich völlig egal. Und der Handwerker muß meist schon vorher anfangen seine Belege nach Rechnungsein- und -ausgang zu sortieren, der hat sonst ohnehin keinen Überblick mehr. Und der kleine Grafikdesigner von nebenan macht - ob Bilanzierung oder nicht - seine Buchführung weiter wie bisher und sortiert seine Belege zu den Kontoauszügen. Die Abgrenzung machen wir dann am Jahresende. Alles andere sprengt ohnehin den Rahmen. Und eine Erhöhung der Grenze zur Ist-Versteuerung? So etwas von egal... Sollte ohnehin abgeschafft werden oder insgesamt auch bezüglich des Vorsteuerabzuges nur noch einem Ist-Abzug unterliegen. Aber rein technisch? Völlig egal... Und so ist es mit fast allen "Erleichterungen". Die sind meist so marginal, daß das Beschäftigen mit der Rechtsgrundlage genau so viel Zeit kostet wie am Ende die Vereinfachung bringt... Mir geht's da wie dem einen Bäcker: "Bloß keine weitere Vereinfachung, die daraus resultierende Mehrarbeit kann ich nicht mehr leisten"....
  • @2911Delta
    Der Typ aus Brüssel hat zu lange hinter dem Schreibtisch gesessen und war offensichtlich lange nicht mehr in der Wirtschaft unterwegs. Politiker die solche Gesetze verabschieden und Beamte die die auslegen sollten mal 6 Monate in den Betrieben arbeiten, die sie da verändern wollen. Am besten direkt mit den neuen Vorschlägen in der Umsetzung, damit der Effekt spürbar wird
  • @danielkusber9283
    Mein Puls, ich kann das alles nicht mehr. Wie haben wir alle und unsere Vorfahren nur überlebt??? Ein Wunder das es noch Betriebe gibt, die sich das alles antun
  • @user-er9ts6ut1z
    Ein Wunder, dass ich als Schreinerin nicht einfach tot umgefallen bin beim Anblick einer Dose Kontaktkleber 😱
  • @nur1xgucken
    Ich wollte ja einen Kommentar schreiben. Aber ich finde den Passierschein A38 für das Ausfüllen eines Kommentars im Kommentarfeld im Moment nicht. 🤭
  • @jackmania84
    Spricht man vielleicht auch mal über diese gigantische Lobby an bürokratischen Schmarotzern, die von einer wachsenden Bürokratie profitieren, weil ihre Arbeit daran hängt. Wenn es diese Bürokratie nicht gäbe, müssten diese Leute ja was richtiges arbeiten, wo sie auf einmal produktiv sind.
  • @kaluwi591
    Ich feier ja das kleine „kommst du mal bitte“ - Fenster hinterm Schreibtisch. Danke für eine weitere gute doku! (Nachtrag: ich feier es wirklich!)
  • @Srandgaenger
    Zwei Ideen: - Auch Journalisten fordern gerne Regeln, wenn irgendwo irgendwas passiert ist. Das Fehlen von Regeln oder staatlichen Kontrollen wird dann gerne skandalisiert. - Der EU wird gerne vorgeworfen, dass sie zu viel reguliert und die Mitgliedsstaaten nichts mehr entscheiden dürfen. Die Konsequenz sind EU-Richtlinien, die von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssen. In Deutschland passiert dies teilweise durch die 16 Länder. Das führt zu vielen regionalen Besonderheiten, die Unternehmer in den Wahnsinn treiben. Unpopuläre Meinung: Wenn die EU reguliert, dann besser durch eine Verordnung, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich gilt.
  • @TheCarmacon
    Die Illustrationen in diesem Beitrag sind einfach nur erste Sahne!
  • @sunnymas2656
    Eine kleine Innenausstattungsfirma in HH, bekam ein Strafverfahren an den Hals. Weil es auch Gardinen nähte. Aber dafür keinen Meisterbrief hatte. (Inzwischen ist die Meisterpflicht für Gardinen abgeschafft worden.)
  • @xmanuu
    Und jetzt noch eine Spezialfolge: Wie viel Bürokratie steckt in einem Nordwolle Produkt. 🤣
  • @cinehorse
    Das Problem in Deutschland, wie bei 31:00 angesprochen, ist einfach die Umsetzung in nationales Recht. Anstatt mal einfach das Minimalste umzusetzen, wird immer das Maximale umgesetzt.
  • @marcelb2133
    Ich arbeite selbst in einer kleinen Firma und muss sagen, dass der Großteil des bürokratischen Aufwands nicht nur durch das Ausfüllen und Dokumentieren entsteht, sondern vor allem durch mangelnde Transparenz. Es bleibt jedem Betrieb selbst überlassen, herauszufinden, wer für was und wann zuständig ist und welche Verpflichtungen in welcher Branche und in welchem Fall bestehen. Dies geschieht jedoch nicht in einem gut recherchierbaren System, sondern in einem Wirrwarr aus sehr vage formulierten Gesetzestexten im nationalen und EU-Recht, mit etwas Glück auch nach einem Telefonmarathon durch dutzende Ämter. Im Zweifelsfall erfährt der Betrieb so von einer Pflicht erst, wenn er eine Abmahnung und/oder Strafe erhält. Es wäre wirklich hilfreich, wenn es eine staatliche und verbindliche Hilfestellung zu den geltenden Pflichten und Rechten bezüglich der Bürokratie gäbe, insbesondere für kleinere Betriebe - etwas Ähnliches wie eine IHK, jedoch funktionaler- Überspitzt ausgedrückt ein Ämter-Amt eben.
  • @kaptnkirk2740
    Die überprüfen, ob der Kunde auf 'ner Terrorliste steht... 🤣
  • @flyingsee
    2:00 Man kann Pausenzeiten vorher festlegen dass sie zu machen sind und wie lang diese Dauern. Dann darf man die pauschal abziehen und hat kein Problem mit stempeln.
  • @1calua
    ich denke, das Problem ist, daß immer dann, wenn irgendwo jemand neu in ein Amt kommt, derjenige dann die schon vorhandene Bürokratie verschlimmbessern will und dann noch ein Gesetz und noch ein Verbot und noch eine Auflage oben drauf packt. Würde er das nicht machen, bräuchte man denjenigen ja garnicht und dessen Job könnte womöglich abgebaut werden. Also wächst zwangsläufig die vorhandene Situation weiter und weiter an.
  • @moritz.d7390
    Einer der best gemachtesten Dokus, die ich lange gesehen habe!